Ich erinnere mich noch an klackende Schlüsselbunde, die zu Beginn des Meetings auf der Tischplatte positioniert wurden. Symbole der Macht. Je dicker der Schlüsselbund, desto wichtiger fühlte sich der Besitzer. Besitzerinnen muss ich hier nicht schreiben, da Frauen sich anders hierarchisch sortieren. Doch zurück zum Schlüsselbund, dieser konnte natürlich auch ein einzelner Schlüssel, dann aber mit dem Logo der «richtigen» Automarke sein, um nicht nur die Tischplatte, sondern auch das Meeting zu dominieren. Doch die Zeiten haben sich geändert.
Das Auto hat als Statussymbol, zumindest bei der jüngeren Generation, ausgedient. Die Mobilitätslösung für die Generation der unter 30jährigen ist das Smartphone. Es koordiniert Dienste wie Car-Sharing, Bahn- und Busfahrten oder Mitfahrgelegenheiten.
SYMPTOME DER OHNMACHT
Was bedeutet das nun für heutige Meetings? Nun, der eine Fetisch geht, der andere kommt. Die Smartphones und so potent klingende Gegenstände, wie die Ultrabooks beherrschen nun die Tischplatte. Und plötzlich spielen auch Frauen in diesem Bürospiel mit. Vielleicht, weil es jetzt nicht mehr nur um Symbole der Macht geht, sondern vor allem um Kommunikationsinstrumente. Und wenn ich nochmal drüber nachdenke, würde ich sogar sagen, es handle sich hier vielmehr um die neuen Symbole der Ohnmacht. Der Journalist Marc Baumann hat sich dazu Gedanken gemacht:
WISCH UND WEG
«Ob beim Magazin Stern, bei Unternehmensberatern, in Wissenschaftsinstituten, bei großen Gastronomiefirmen, im Lehrerzimmer, in der Automobilindustrie, in Gewerkschaften, in Start-ups sowieso – überall beschäftigt man sich in Konferenzen mehr oder weniger hemmungslos mit dem Handy. Ein Freund schreibt: »Ich habe das Gefühl, dass es schon zum guten Ton gehört, das Smartphone in Besprechungen simultan zu benutzen, nach dem Motto: Ich bin super geschäftig, mit wichtigen Leuten in Kontakt, darf keine Sekunde verschwenden.« Was man wirklich auf dem kleinen Bildschirm macht, bekommt niemand mit. Dass auch viel unnötig gesurft wird, meinen alle, die ich frage.
Viele halten es einfach nicht mehr aus, eine ganze Besprechung lang von ihrem Smartphone getrennt zu sein. Nutzerdaten zeigen, dass Deutsche im Schnitt sechzig Mal am Tag zum Handy greifen, zwölf Prozent der Deutschen tun das sogar mehr als hundert Mal. Dieses permanente Verlangen ist stärker als Büro-Etikette oder das einst geltende Gebot der ungeteilten Aufmerksamkeit, wenn jemand anderes spricht.» Soweit Marc Baumann in seinem Artikel: «Wisch und Weg».
HIER UND JETZT
Ich habe das grosse Glück, dass ich überwiegend mit Menschen arbeite, die den Bewusstseinswandel von Macht zu Machtsamkeit vollzogen haben. Macht wird nicht demonstriert, sondern gepaart mit Liebe genutzt, um etwas in der Welt zu bewegen. Achtsamkeit für das Gegenüber, auch in Gruppen, ist eine Selbstverständlichkeit, die wenn sie mal aus dem Fokus gerät, bald wieder aktiviert wird. Das führt zu lebendigen, kreativen Meetings im Hier und Jetzt, bei denen der Griff zum Instrument der Realitätsflucht nur selten aufkommt. Und wenn es mal passiert, dann merkt man es zumindest noch.
zum ganzen Artikel von Marc Baumann im Magazin der SZ | mehr zum Smartphone als Mobilitätslösung der Generation Y | lesen Sie zum Handygebrauch der Schweizer Jugend den Forschungsbericht: April 2012 der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften