Die für die ganze Welt vorbildliche französische Kultur des 18. Jahrhunderts war die Kultur einer bereits in die Dekadenzphase eingetretenen Oberschicht. Eine Höflingskultur.
ALTE UND NEUE BEZIEHUNG ZUR NATUR
Momentan lese ich das wunderschöne Buch Lebensfreude in Bildern grosser Meister, das 1969 im Mondo Verlag in Lausanne erschienen ist. Autor ist der schweizer Kunsthistoriker und Schriftsteller Paul Nizon. Er schreibt dort weiter: « … Das 18. ist aber auch das Jahrhundert der Naturentdeckungen – im wissenschaftlichen, geographischen, künstlerischen Sinne. Es bahnt sich in dieser Zeit eine neue Beziehung zur Natur und eine neue Natursicht an.
Bei der weiteren Lektüre von Nizons sprachlich, wie inhaltlich brillanten Texten komme ich nicht umhin, über den gerade stattfindenden Wandel in unserer Beziehung zur Natur nachzudenken. Paul Nizon schreibt:
«Wenn der Schwede Linné die botanische und zoologische Wissenschaft entdeckt, wenn in den literarischen Werken der Schweizer Haller und Gessner die Schönheit der wilden Natur- und Alpenwelt gefeiert, wenn in der schweizerischen Alpenwelt ein neues Arkadien erkannt wird; wenn jetzt der Zug der Alpenreisenden einsetzt, die Besteigung von Bergen und Passwanderungen Mode wird; wenn die Maler ausziehen, um Naturansichten (von Wasserfällen und Naturwundern) zu malen, die Reiseschriftsteller ihre Laufbahn beginnen; wenn der Weltumsegler Cook auf Tahiti den «guten Wilden» entdeckt; wenn Rosseau den Naturzustand empfiehlt und zum Schritt «zurück zur Natur» aufruft; und wenn jetzt die Aristrokatie und feine Lebewelt anfängt, Schäfer zu spielen – wie soll sich denn dieses neue Interesse an der Natur und neue schwärmerische Naturgefühl anders erklären denn als Reaktion, als Gegenbewegung zur überfeinerten und künstlichen Lebensart der immer noch tonangebenden Höflingswelt? Zwischen diesem neuen Hang zur Natur als Quell der «wahren» Freuden und der überfeinerten aristokratischen Kultur französischen Vorbildes liegt eine der großen Spannungen, die das 18. Jahrhundert in sich trug. …»
WUNSCH NACH NATURNÄHE
Die Spannungen des 21. Jahrhunderts sind vergleichsweise grösser geworden. Was bleibt, trotz all der ökologischen und ökonomischen Unvernunft, ist die immerwährende Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Natur. Ein tiefer Wunsch zur Versöhnung. Was in den letzten 30 Jahren zu diesem Thema an Bewegungen entstanden ist, was an Büchern geschrieben wurde, ist nicht fassbar. Stichwörter sind z. B. das Gaia-Prinzip von Lovelock, Deep Ecology oder jetzt gerade Urban Agriculture. Wobei ich das Gefühl nicht loswerde, dass wir uns zwar etwas «Natur» zurück in die Städte holen, was wünschenswert ist, doch zeitgleich weiter natürliche Bodenflächen auf dem Land vernichten. Wir halten auch im ökologischen Bereich einfach zu vieles für machbar, anstatt mehr Dinge zu unterlassen.
PARKLANDSCHAFTEN
«Das Parkland Schweiz nimmt langsam Gestalt an . . . », heisst es auf der Webseite von paerke.ch. und weiter: «Pärke dienen dazu, die Vielfalt der Natur und die Schönheit der Landschaften langfristig zu erhalten und aufzuwerten. Gleichzeitig geben sie wertvolle Impulse für die Stärkung der nachhaltigen Wirtschaft in den regionalen Naturpärken und in den Umgebungszonen der Nationalpärke.» Das Paradebeispiel für die Pärke der Schweiz ist die
UNESCO Biosphäre Entlebuch. Die Karte auf der Webseite von paerke.ch zeigt eine Momentaufnahme der Pärke und Parkprojekte vom Januar 2014. «Die Grenzen der einzelnen Projekte und Ideen sind provisorisch. Sie können und werden sich noch verändern. Letztlich entscheidet die Bevölkerung, wie ein Park aussehen wird.»
Von den Pärken der Schweiz springen, oder um es mit dem Bild der Schaukel zu sagen, schwingen wir zurück ins 18. Jahrhundert, mitten in Fragonards Bild, das im Mahagony-Magazin wie folgt beschrieben wird: «In einem offensichtlich jahrhundertealten Park vergnügt sich eine junge Frau auf einer Schaukel, der ihr Liebhaber - ein Priester - Schwung verleiht. Links hat sich ein weiterer Verehrer im Buschwerk versteckt und erhascht gerade einen Blick unter den Rock der Dame, der einen Ausdruck andächtiger Erleuchtung auf sein Gesicht zaubert. ... Die Statue eines geflügelten Knaben am linken Bildrand gibt dem Treiben derweil mit ihrer Geste der Verschwiegenheit den Segen: «What happens in Vegas, stays in Vegas.»
Ich denke es ist höchste Zeit für ein neues Motto: «Schluss mit der Tändelei», runter von der Schaukel und rein in die Gummistiefel. Denn wahre Liebe (zur Natur) sieht anders aus.
Das Bild
Schaukel
«Menschengemachter Himmel auf Erden» mit dieser Metapher blickt das Mahagony-Magazin auf das Bild von Fragonard. Er schreibt: «Eine Frau mit zwei Liebhabern, einer davon Priester, ein freudig zugelassener Blick unter den Rock – eigentlich geht es in Fragonards «Schaukel» zu wie auf einer Bauernhochzeit. Und doch eignet der Szene eine Anmut und Eleganz, eine luftige Lebensfreude, die zeigt, wie weit das Geschehen von aller Lebenswirklichkeit der unteren Schichten entfernt ist.» | der Maler Jean-Honoré Fragonard | mehr zu Fragonards Schaukel
Das Buch
Lebensfreude in Bildern grosser Meister, Autor: Paul Nizon | Mondo Verlag, 1969, Lausanne | zum Buch
Der Autor
Paul Nizon
Der Schweizer Kunsthistoriker und Schriftsteller, der seit 1977 in Paris lebt, war 1961 leitender Kunstkritiker der Neuen Zürcher Zeitung. Er gab den prestigeträchtigen Posten für ein unsicheres Leben in der Literatur auf. Dieser Entscheidungsprozess findet sich literarisch gespiegelt in Untertauchen. Protokoll einer Reise (1972). | mehr zu Paul Nizon