Seit dem Jahreswechsel tue ich mich schwer damit, hier auf das aktuelle Tagesgeschehen oder die Weltpolitik einzugehen. Dies ist auch nicht der Fokus in meinem Blog. Warum also «schwer»?
Es gibt so vieles rund um die internationalen Konflikte, das mich zutiefst bekümmert – doch wie kann ich mich, können wir uns darum kümmern? Etwas dagegen tun ist auf den ersten Blick nicht oder nur schlecht möglich, doch so tun als ob nichts möglich wäre, das geht garnicht.
Ich habe in den vergangenen Wochen zwei Bücher des rumänisch stämmigen Autoren Catalin Dorian Florescu gelesen, der 1967 geboren wurde und «heute als freier Autor mit Schweizer Bürgerrecht in Zürich» lebt. Die Formulierung in Anführungszeichen stammt aus einem Artikel in der NZZ.
Ich frage mich: «Ab wann gehört ein Zugewanderter dazu?» Rechtlich ist Florescu jetzt ein Schweizer, doch die Wahrnehmung, die öffentliche, meine, deine, unsere hat da so ihre (berechtigten?) Zweifel. Auch sein Name spricht dagegen. Er spricht eine andere Sprache.
Dem Protagonisten in Catalin Dorian Florescus Roman, auf den ich hier eingehen möchte, ergeht es da ganz ähnlich. So antwortet er auf die Frage nach seinem Namen: «Ich bin Jacob. Jacob mit c nicht mit k.» Denn das kleine «c», ist mittlerweile überlebensnotwendig für Jacob Obertin geworden, der auch seinen Nachnamen jetzt lieber «Aubertin» buchstabiert.
DOCH AM GRÖSSTEN IST DIE LIEBE
««Gewalt und Verrat, Krieg und Vertreibung, Folter und Mord, Rassismus und Machtgier, Hunger und Durst, Krankheit und Tod – den widrigen Lebensumständen und menschlichen Abgründen versucht Jacob mit seiner Fähigkeit zu lieben und zu verzeihen eine Menschlichkeit im positiven Sinn entgegen zu setzen.» so umreisst Ruth Gantert in ihrer Rezension auf culturactif.ch den Roman «Jacob beschließt zu lieben».
Seite um Seite können wir, wechselweise mit Jacob, seinem fast gleichnamigen Vater Jakob, und dem Urvater der Aubertins erleben, wie diese selbst oder aber wie andere Menschen versuchen, das eigene Glück mit dem Unglück anderer zu machen. Das geschieht teils unbewusst, mal berechnend, vielleicht am schmerzlichsten, einfach so nebenbei, und immer wieder in vollem Bewusstsein und dem Glauben, dass in dem Fall, das Glück einfach nicht für zwei oder mehrere ausreichen kann.
Die Rollen der Glücklichen und Unglücklichen sind dabei im steten Wechsel. Kaum einer kommt ungeschoren durch das Buch, respektive sein (Roman)Leben.
Doch Jacob mit «c» nimmt diese Achterbahnfahrt, wohlbemerkt eine ohne Jauchzen, dafür mit viel Schrecken, auf eine bemerkenswerte Art und Weise. Das formuliert die NZZ-Redaktorin Beatrice Eichmann-Leutenegger wie folgt: «Dass Jacob trotz seinen seelischen und körperlichen Beschädigungen immer wieder zu leben versucht, dass sich sogar im Verhältnis zu seinem Vater eine Spur Versöhnung abzeichnet, ist gleichzeitig Florescus stilles Bekenntnis zum Leben. In der Figur des Grossvaters, der seinem Enkel Jacob als einer der wenigen Wärme schenkt, atmen Möglichkeiten einer anderen Lebensform.»
MÖGLICHKEITEN EINER ANDEREN LEBENSFORM
Mir gefällt diese Formulierung «Möglichkeiten einer anderen Lebensform». In vielen meiner Texte schreibe ich von Möglichkeiten und Herausforderungen, wo man versucht wäre Negativformulierungen zu wählen oder das allzu verschlissene «P-Wort»». Denn was uns das Leben (an)bietet sind immer Wachstumschancen. Allerdings können wir uns nicht gegen das Leben entwickeln. Es braucht unser «Ja!» dazu.
Ja!cob – nomen est omen – erkennt das, und willigt ein zu dem was ihm geschieht. Denn darauf hat er, haben auch wir in unseren Leben, keinen Einfluss. Doch der Blickwinkel zählt. Wie sehe ich meine Lebensgeschichte? Wie gebe ich sie wieder? Denn mit der Wiedergabe erfolgt eine Weitergabe, eine Manifestierung oder prosaischer eine Beschwörung meiner eigenen Wahrheit, die sodann zur Wirklichkeit wird.
Ruth Gantert ikonstatiert, welch wichtige Rolle das Erzählen in dem Roman «««««Jacob beschließt zu lieben»Jacob beschließt zu lieben»»»» spielt: «««Der Grossvater und der Vater, die Zigeunerin Romina, der Pope Pamfilie – alle, bis auf die fast immer stumme Mutter, erzählen dem Jungen Geschichten, ausgeschmückte oder ganz erfundene. So kommt der Titelheld auch zu zwei Geburten: In der Version des Vaters wurde er in Triebswetter auf einem Mistkarren geboren, unter den neugierigen Augen des ganzen Dorfes. Die Schmach dieser Geburt, nach der er noch immer stinke, lastet auf dem schüchternen Jacob. Die Zigeunerin Romina hingegen, die als Geburtshelferin dabei war, stärkt sein Selbstbewusstsein, indem sie eine ganz andere Begebenheit schildert: er sei in Temesvar zur Welt gekommen, und habe als erstes laut gelacht, so lange, bis der Vater vor ihm geflüchtet sei und das Haus verlassen habe.»
Beschliessen wir zu lachen und zu lieben. Wir können nicht länger auf die Liebe warten, dazu sind nicht die richtigen Zeiten. Dazu haben wir keine Zeit mehr. Doch wir können verzeihen und die Liebe in die Welt bringen. Wie das geschieht? Mit kleine «l»kleinem «l». Indem wir– alle, bi selber lieben. Das kleine «l» ist mittlerweile für uns so überlebensnotwendig geworden wie für Jacob das kleine «c».
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wurde 1967 in Timisoara, Rumänien geboren und reiste 1976 erstmals mit seinem Vater nach Italien und Amerika aus, um acht Monate später nach Rumänien zurück zu kehren. 1982 folgte die erneute Flucht mit den Eltern in den Westen. Seitdem lebt Florescu in der Schweiz. Nach einem Hochschulstudium der Psychologie und Psychopathologie an der Universität Zürich folgte 2001 der erste Roman. 2011 erscheint «Jacob beschließt zu lieben» beim C.H. Beck Verlag, München.
Das Buch erhielt den Schweizer Buchpreis 2011 | mehr zum Autor | der Autor im Gespräch auf SRF1 | die Leseprobe | Rezension der NZZ | perlentaucher Rezensionen | damals gab es auch Alemannen im Banat
Hinweise zu meinem Text
Mein Zwischentitel (oben) «Doch am grössten (unter ihnen) ist die Liebe » zitiert das Hohelied der Liebe (1. Korinther 13)
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