Keine Wahlberechtigung
Das hat seine Gründe, doch eines noch vorweg. Seit ich gewählt habe, fühle ich mich besser. Zufriedener, irgendwie stimmiger ;-) Schliesslich ist wählen zu können ein Privileg. Aber eben, nicht immer so einfach, wie man meint.
Ich bin in Deutschland geboren, meine Mutter war Deutsche, mein Vater Österreicher. Leider haben meine Eltern «Papierkram» versäumt. Mit 16 wurde mir mein gerade erst ausgehändigter Personalausweis wieder weggenommen, und ich erhielt einen österreichischen Reisepass. Die österreichische Staatsbürgerschaft hatte ich bereits, nur wusste das in unsere Familie niemand. Als frisch deklarierte Ausländerin hatte ich keine Wahlberechtigung in Deutschland mehr.
Zwei Jahre musste ich für mein Geburtsland Deutschland auch eine Aufenthaltsbewilligung beantragen. Als ich mit der Ausbildung begann, dann ebenso eine befristete Arbeitsbewilligung, bis ich schliesslich beides unbefristet ausgestellt bekam.
All das erschien mir die ganzen Jahre so unlogisch, dass ich mich, nicht nur aus finanziellen Gründen, geweigert habe, eine deutsche Staatsbürgerschaft und damit die «Lizenz zum Wählen» zu beantragen.
Unfreiwillige «Wahlfreiheit»
Doch wenn es eigentlich nichts (aus) zu wählen gibt, ist solch eine Form der unfreiwilligen «Wahlfreiheit», der (Be)Frei(t)heit von der Pflicht zur Wahl, eigentlich ganz angenehm.
Ich habe noch die Kommentare meiner Eltern im Ohr, zu Zeiten, als die Parteien begannen, die klangvollen Adjektive, wie z. B. sozial oder christlich in ihren Parteinamen, immer mehr Lügen zu strafen. Obwohl damals beim Stichwort: CDU, FDP, SPD oder Grüne immerhin noch ein Profil, wenn schon kein klares Programm mehr vor dem geistigen Auge auftauchte, nachdem man die Parteien sortierte und bewertete.
Irgendwann war schliesslich der Punkt erreicht, als der Durchschnittswähler nur noch das sogenannte «kleinere Übel» wählte. In Gesprächen mit Freunden und mit Arbeitskollegen hörte ich immer wieder, schulterzuckend gesprochen, diese Formulierung. Nach meinem Empfinden hat diese Phase bis heute angehalten. Nur das mittlerweile die politischen Profile der etablierten Parteien auf Null runtergefahren sind. Was aus deren Perspektive den Vorteil hat, dass sie vor dem Wahlkampf zu jedem gerade brisanten Thema argumentieren können, um damit Stimmen zu sammeln. Hinzu kommt, die unentschlossenen, resignierten und wohl oft immer noch uninformierten Wähler werden durch Wahlprognosen im Stundentakt auf Linie gebracht; wenn sie denn hinhören.
Wahlbehinderung
Mit meinem Umzug in die Schweiz im Jahr 2006 verstärkte sich mein Unmut darüber, weder in Deutschland noch in der Schweiz wählen zu dürfen. Mir dieses Recht nun anstatt in Deutschland in der Schweiz zu erkaufen, erscheint mir immer noch nicht logisch und vor allem nicht befriedigend.
Trotz meiner «Wahlbehinderung» habe ich mich immer für gesellschaftliche und politische Entwicklungen interessiert und diese auch verfolgt. Und vor allem in dem mir möglichen Handlungsrahmen meine Konsequenzen daraus gezogen. So beim Konsum oder nicht politisch orientierten Organisationen, die, trotzdem oder gerade deshalb, Veränderungen bewirken.
Globale Nichtwähler
Meiner Ansicht nach ist ein aktiver (Mit)Bürger nicht durch seine Staatsangehörigkeit zu definieren. Traurig genug, dass seine aktive Teilnahme am Staatsgeschehen durch ebendiese reglementiert und gebremst wird. In Zeiten der globalen Arbeitsmigranten, der unterschiedlichsten Gehaltsniveaus und sozialen Schichten, verdammen die meisten gültigen Wahlsysteme immer mehr Menschen zu globalen Nichtwählern.
Diese kollektive Stimmkraft fehlt, um Veränderungen zu bewirken. Oder aus Sicht der Etablierten gedacht: Die Kraft vieler Stimmen stört nicht, sodass Zustände unangetastet bleiben und sich verfestigen können.
Den Gedanken, den ich hatte, als ich das erste Mal Werbung von der Partei mit dem «Sünneli» im Logo aus meinem Postkasten in Zürich zog, vergesse ich nie: «Igitt. Braune Ideologie mit gelber Sauce. Und die sitzen mit in der Regierung?» Wo war ich gelandet?
Partei passé?
Parteien, die man nicht wählen möchte, gibt es überall. Das tolle in der Schweiz ist, dass der Wahlberechtigte unter dem Jahr, mehrfach die Möglichkeit hat, durch seine Stimmabgabe zu den verschiedensten Vorlagen, zu aktuellen Sachthemen Stellung zu beziehen. Das ist parteienunabhängig und dient der Klärung und Lösung von Sachthemen. Die Wahlstimme stärkt nicht eine Partei oder deren Programm, sondern befördert Lösungen.
Die mehr als lästigen Personaldebatten, die mittlerweile in den Fokus der Parteienpolitik und Berichterstattung gerückt sind, haben sich mittlerweile aber auch in der dezenten Schweiz in den politischen Vordergrund geschoben.
Globale, simultane Lösungen
Mich und viele andere Wähler, mit ganz unterschiedlichen Parteivorlieben und Nationalitäten, interessieren in der heutigen Welt mit ihren vermehrt, nationenübergreifenden Herausforderungen, die dazu notwendigen ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen, aber vor allem kooperativen, globalen Lösungen.
Zentrale Frage für das 21. Jahrhundert
Dazu schreibt Ken Wilber Begründer der integralen Theorie: «Die zentrale Idee von SimPol ist sehr machtvoll: nämlich der Ansatz, wie man Stimmen in einem Land mit Stimmen in einem anderen Land miteinander verknüpfen kann – wie man also auch politische Kraft in einem Land mit Kraft in einem anderen Land verknüpfen kann. Internationaler Wettbewerb ist ein prägender Faktor im nationalstaatlichen System auf seiner gegenwärtigen Entwicklungsstufe. Daher liegt das Grundproblem weniger in den Umweltfragen selbst, sondern darin, wie man die Menschen dazu bekommt, sich hinsichtlich der Umweltfragen zu einigen. Das ist sehr faszinierend und sehr hoffnungsvoll. Meiner Meinung nach ist es die zentrale Frage für das 21. Jahrhundert.»
Politisches Engagement
Mein Engagement für SimPol kann ich nur durch eigene Empfehlungen und Berichte in meinem Blog wahrnehmen. Da die Initiative parteienübergreifend Politiker für die SimPol-Agenda zu gewinnen versucht, und die – genau, kann ich eben nicht wählen.
Wer bis hierhin gelesen und ein wenig quergedacht hat, wird ganz richtig sagen, dass das nicht ganz stimmt. So auch John Bunzl, der mir beim gemeinsamen Abendessen an seinem Küchentisch sagte, ich solle in Österreich wählen, da dürfte ich.
Ja mei
Wählen in Österreich? Wen bitte? War ich da nicht in mehrerer Hinsicht bei den weiter oben beschriebenen Sachverhalten angelangt? Doch einige E-Mails weiter, nach meinem Eintrag in die sogenannte Wählerevidenz und der Beantragung einer Wahlkarte, konnte ich bei den Nationalratswahlen 2013 in Österreich mitwählen.
«Bitte, nicht pink!», war der reflexartige Gedanke, als ich die Neos entdeckte. Von noch schlimmeren Gedanken, das Wort «Neos» betreffend ganz zu schweigen. Bei Letzterem versuchte ich mich mit Neo aus «The Matrix» zu beschwichtigen. Doch das Programm von Neos, die sich als liberale Bürger_innenbewegung definieren. Ihre Sprache, die Kernwerte (s. Grafik) und ihr Menschenbild haben mich überzeugt. Also habe ich «pink» gewählt. Und das gleich mit Erfolg.
Nach den Nationalratswahlen schrieb Cyrill Stieger in seinem Kommentar: «Eine Sensation schaffte hingegen die neue liberale Partei Neos, die auf Anhieb ins Parlament gewählt wurde. Der grosse Erfolg von Neos ist auch deshalb bemerkenswert, weil es im traditionell stark katholisch-monarchistisch geprägten Österreich liberale Ideen schon immer schwer hatten». Und weiter: «Die beiden Grossparteien SPÖ und ÖVP haben Stimmenanteile eingebüsst. Zwar hat die grosse Koalition eine knappe Mehrheit erreicht, es sind aber die schlechtesten Resultate seit dem Zweiten Weltkrieg.»
Wie ich Europäerin wurde
Für alle, die noch tapfer lesen, ein letzter Wahlschwank. Ich erhielt von den österreichischen Behörden Unterlagen, um meine Wahlkarte für die Europawahl 2014 zu beantragen. Doch beim Lesen der Formulare ahnte ich, dass mit meinem aktuellen Wohnsitz in der Schweiz (kein EU-Land) daraus nichts werden würde.
In meinem ganzen Leben ohne die «Qual der Wahl» und in meinem erst kurzen Wählerinnen-Dasein, war das der Höhepunkt. Dafür hatte sich alles gelohnt. 28 EU-Länder mit 63 Millionen Wahlberechtigten und ich kann für Europa wählen – in der Schweiz. Ich war zur Europäerin geworden, nicht nur auf dem Papier, nein auch in der Tat.
Sie ahnen es bereits?
Ich meine nicht den EurOPA den wir jetzt haben, mit seinem wirtschaftlichen Machtgehabe eines Kerneuropa mit östlichen Randzonen. Ich wünsche mir ein menschlicheres NEUropa, für das auch die Neos mit ihrem Wahlprogramm für die Europawahl 2014 eintreten. Dieses neue Europa könnte auch von der Schweiz ein paar wesentliche Dinge lernen und übernehmen. Wie heisst es so schön? Alles neu macht der Mai.
Schweizerische Eidgenossenschaft
www.votez.ch
www.vimentis.ch
Europawahlen 2014
Alternativen für Schweizer und Weltbürger
Simpol Simultan-Politik
Integrale Politik
Neues in Österreich
Neos liberale Bürger_innenbewegung
Noch mehr Volkswille?
Blick-Kampagne Der achte Bundesrat
SRF-Experiment Ich bin die Mehrheit
Und der Text zum Song aus dem Video Baby will nicht wählen von Thomas Pigor