«Wir leben im Honigtopf und baden in Trinkwasser.»
Es regnet, vielmehr strömt es, seit Tagen, aber darum soll es hier heute nicht gehen, zumindest nicht vordergründig.
Das obige Zitat traf mich in Mark und Bein, als ich es las. Der Satz stammt aus der Beilage Z der NZZ zum Thema Luxus von 2007 und war eine der Antworten auf die Frage: «Was ist Luxus für Sie?». Wie oft ich seitdem diesen Satz schon zitiert habe, weiss ich wirklich nicht.
Ich lebte 2007 seit anderthalb Jahren in Zürich. Jeden Morgen machte ich meine «Runde» am See bis zum Zürihorn und wieder zurück in die Stadt. Die Männer von der Stadtreinigung waren dann meist noch mit dem Littering, des vorherigen Tages und vor allem der vergangenen Nacht, beschäftigt.
Vom Zürisee ...
Der Blick auf die Landschaft, die Weite und das Wasser des Zürichsees, das tatsächlichTrinkwasserqualität hat, liessen mein Herz höher schlagen. Der Anblick des Mülls auf den Wiesen und Wegen aber auch am Ufer und im See dämpften meine Freude. Unverständnis und Hilflosigkeit kamen immer wieder in mir hoch. Und doch blieb der prachtvolle Eindruck der stadtnahen Natur in einer internationalen Metropole vorherrschend, zumal an Sommertagen nach einer Schwimmrunde im See.
Bis zu meiner Wohnung im Niederdorf begegnete ich dann noch dem einen oder der anderen «Arbeiter(in) der Bahnhofstrasse». Wahlweise im Anzug oder im Deux-Piece, doch fast immer mit iphone am Ohr, doch vor allem reich geschmückt und bei den Damen nicht selten deutlich sichtbar gestrafft.
Zürich hat (vordergründig) genau diese Mischung aus sichtbarem Luxus und beschaulicher Stadtkulisse mit fast mediterranem Naturparadies vor der Haustüre, die das Eingangszitat so gut auf den Punkt bringt. Als ich in Zürich lebte, hatte ich bereits nach kurzer Zeit das Bedürfnis nach Ausgleich und ein bisschen mehr Realismus z. B. in einem der anderen Quartiere von Zürich, wie dem Kreis 4, dem sogenannten «Chreis Cheib»
... zum Baldeggersee
Mittlerweile lebe ich im Luzerner Seetal, den Baldeggersee im Blick und vor den Füssen. Noch mehr Paradies, weniger Luxus und aufgestellte, gut geerdete Menschen. Das mit dem Paradies trifft leider für den Baldeggersee nur optisch zu. Seit 1940 befindet sich der Baldeggersee in Privatbesitz der Pronatura, der führenden Organisation für Naturschutz in der Schweiz.
In einer Stellungnahme vom Februar 2013 schreibt Pronatura zum Problem der Wasserqualität: « ... Das Problem liegt primär bei der nicht nachhaltigen Landwirtschaft. Die hohen Tierbestände, welche zu einem grossen Teil auf importierten Futtermitteln beruhen, verursachen eine zu hohe Nährstofffracht, die trotz erfolgreichen Gegenmassnahmen noch immer zu einem grossen Teil in den Baldeggersee fliesst. Mit Anreizen und zu einem kleineren Teil mit Vorgaben, versucht man, den See zu sanieren. Der nachhaltige Erfolg scheint in weiter Ferne. Offiziellen Angaben zufolge zeichnet sich sogar eine erneute Zunahme der Phosphoreinträge ab. ... »
Menschen und Schweine
Gewässer sind jene Lebensräume in der Schweiz, die wohl am meisten von ihrer «Natürlichkeit» eingebüsst haben. Das Parlament hat darum 2010 eine Änderung des Gewässerschutzgesetzes gutgeheissen, damit die Gewässer wieder naturnaher werden. So sollen die Seen und Flüsse ihre natürlichen Funktionen besser erfüllen können: die Biodiversität bewahren und speziell auch als Filter für das Trinkwasser wirken (BAFU). Das ist einfacher als es klingt, denn im Kanton Luzern leben mehr Schweine als Menschen. Auf 381'966 Personen kommen 423 953 Schweine (Stand 2011, Lustat Statistik).
Die Menschen wollen «mehr See»
Doch der See wird nicht nur von der Schweinezucht bedrängt. Die Menschen wollen «mehr See». Dieses ist am Uferrand weitestgehend nicht bebaut , was selten in der Schweiz zu finden ist. Ein Rundgang um den Baldeggersee ist auch deshalb ein besonderes Naturerlebnis. Aber ein Weg, der nicht die ganze Zeit ufernah verläuft scheint für manche Menschen und ihre Bedürfnisse nicht auszureichen. Die idee seetal AG will hier deshalb Abhilfe schaffen mit ihrem Projekt des Seeerundweg Baldeggersee.
Zwei Badeplätze, eine kostenpflichtige «Badi» in Baldegg und ein Platz in Gelfingen, bieten kaltes Nass für alle. Betriebssames, föhliches Schwimmvergnügen mit Restauration und Musik in der Hochsaison. In der Badi Baldegg teilt sich der Schwimmer, zumindest in den Morgenstunden, zudem das Seefeeling mit zahlreichen Anglern. Der Badeplatz in Gelfingen bietet hingegen ganz einfaches, ruhiges Schwimmvergnügen und zieht deshalb auch weniger Menschen an.
Mensch und Natur im Einklang
Mehr See. Näher ran. Überall rein. Sei es mit Angel oder selber. Mit Hund, Velo und Kinderwagen. Naturbelassene Natur, ohne alles inklusive, ist manchmal unbequem und stört so manchen in seiner individuellen Freizeitgestaltung.
Die idee Seetal AG formuliert hingegen in ihrem Entwicklungsbericht für das Seetal: «Die einzigartige Seetaler Naturlandschaft wird als Chance verstanden. Mensch und die Seetaler Natur stehen im Einklang.»
Diese Aussage ist vielleicht werbetauglich, entspricht aber nicht meiner Wahrnehmung. Als nahe Anwohnerin des Baldeggersees, bin ich täglich irgendwo entlang des Sees unterwegs, und kann folgendes feststellen: «Die Menschen, die aus nah und fern den See besuchen und nutzen, sind nicht in der Lage ein solch, wirklich einmaliges Stück Natur, zu würdigen und sich dementsprechend zu verhalten.» In Gesprächen stelle ich immer wieder fest, dass auch die Einsicht fehlt. Vielmehr gilt das Gewohnheitsrecht. Was ich mache, das gilt, umso mehr, je öfter ich es tue. Das gilt gleichermassen für Hündeler, Biker, Schwimmer und auch besonders forschfreudige Naturfreunde. Die um den ganzen See gut sichtbaren Beschilderungen, wie Fahrverbote und Hinweisschilder der Pro Natura zu Schutzzonen und Verhaltensregeln werden ignoriert oder im eigenen Sinne interpretiert.
Was will Pro Natura?
Ein Zustand, der mich traurig stimmt, angesichts eines kleinen Paradieses, das in 50er Jahren de facto tot war. Erst dank der andauernden Arbeit der Pro Natura gibt es heute wieder Fische, und wir haben Seewasser, in dem man auch schwimmen kann. Das eine Naturschutzorganisation, die ihrem Namen und Programm gerecht werden muss, so handelt, wie die Pro Natura es tut, sollte eigentlich klar sein, zumal diese Eigentümerin des Sees ist.
Doch da scheint nicht nur der See, sondern auch der Blick zeitweilig getrübt. Der Ton und die Argumente in den Medien und von Einzelstimmen, mit denen die Pro Natura für ihr Engagement angegangen wird, nimmt einen manchmal wunder.
Heiliges, heilendes Wasser
Wir alle machen uns alltäglich zu wenige Gedanken über dieses Geschenk der Natur, das uns schier unerschöpflich erscheint, das Wasser. Es strömt aus dem Wasserhahn, füllt unsere Badewannen und fliesst auch nach 10 Minuten Duschzeit noch warm aus der Leitung. Die Seen, Flüsse und Bäche sind einfach da und in ihrer Vitalität und Heilkraft meist so stark, dass uns das eigene Verhalten oder das unserer Mitmenschen zu selten stört oder ins Nachdenken bringt.
Die Lebensdauer von Plastikflaschen im Wasser liegt bei circa 450 Jahren; eine Plastiktüte kann bis zu 20 Jahre im Meer bestehen (Quelle: OSPAR 2010). Das bisschen Dreck und Müll, das obenaufschwimmt, auch und vermehrt auf dem Baldeggersee, kann mit keinem Dauerregen einfach wieder weggespült werden.
Wasserschutz in der Schweiz:
my blueplanet l Das blaue Wunder Erde l BAFU Bundesamt für Umwelt l Statement zum Weltwassertag am 22. März