Luise Rinser | Der Balance-Akt aus Fließendes Licht
Es gibt sie immer wieder, diese verstörenden Entdeckungen, dass Menschen (noch) anders sind, als das Bild, welches sie in der Öffentlickeit von sich gezeichnet und kultiviert haben. Zum Beispiel:
Die Kinder aus der Beziehung mit seiner Lebensgefährtin, einer Wäscherin, liess der schweizerisch-französische Philosoph, Pädagoge! und Naturforscher Jean-Jacques Rousseau allesamt in ein Heim für Findelkinder bringen. Was ihn nicht daran hinderte Hervorragendes zu denken und zu publizieren. Ironischerweise zu Themen wie «Abhandlung über Ursprünge und Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen», mit denen Rousseau zum Vorreiter des Sozialismus wurde. Jean-Jacques Rousseau gilt als ein bedeutender Kopf der Aufklärung.
LUISE RINSER
Mit Luise Rinser verhält es sich ähnlich. Und ich war erstaunt, als ich nach meiner ersten (späten) Lektüre eben jenes oben zitierten Buches «Fließendes Licht», das mich Seite um Seite, fast Satz um Satz mit seiner Tiefe und Schönheit bewegt hat, im Internet ein wenig über die deutsche Autorin lesen wollte, die mir nur dem Namen nach bekannt war.
BALANCE-AKT
Michael Kleeberg schrieb 2011 einen Text für den Spiegel – neun Jahre nach dem Tod von Luise Rinser, die er als Jungautor persönlich kennen gelernt hatte. Darin legt er glaubwürdig dar, wie sehr sich das Selbstbild der erfolgreichen Autorin, die seinerzeit sogar von den Grünen als Mitbewerberin, neben Richard von Weizsäcker, für das Amt des Deutschen Bundespräsidenten aufgestellt wurde, von der (wahren) Geschichte entfernt hatte.
Der Balance-Akt war offensichtlich aus dem Gleichgewicht geraten. Den Texten von Luise Rinser (wo sie nicht auf ihre Geschichte bezogen sind) tut das keinen Abbruch.
Wir alle gehen auf dem Seil und müssen immer wieder prüfen, wo wir im Begriff sind, mit unserem Tun oder Lassen, vom hohen Seil unserer Worte herunterzufallen.
Zum 250. Geburtstag von Jean-Jacques Rousseau im Jahr 2012 sendete Radio DRS2 eine Hörpunkt-Reihe (einige Beiträge runterscrollen) l Den Spiegel-Artikel von Michael Kleeberg über Luise Rinser lesen l noch mehr Sisyphus im oralab-Blog